Freitag, 22. Februar 2019

Milton Friedman: Von der Wiege bis zur Bahre - Kritik des Wohlfahrtsstaats

(Dieser Blogbeitrag ist auch als Podcast verfügbar)

In unserer heutigen Folge über klassisch-liberale Schlüsseltexte geht es um Milton und Rose Friedmans Buch "Free to Choose", erschienen 1979. Milton Friedman, Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises 1976, und seine Frau Rose haben hier sozusagen ihr politisches Vermächtnis niedergelegt. Das Buch wurde übrigens auch als sehr populäre Serie verfilmt und unter dem gleichnamigen Titel "Free to Choose" 1980 bei CBS ausgestrahlt. In unserer heutigen Medienlandschaft fast nicht mehr vorstellbar! Man kann übrigens diese Folgen auf YouTube anschauen - sehr empfehlenswert und überaus unterhaltsam. Friedman war nicht nur einer der einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, er war auch ein unterhaltsamer und witziger Präsentator seiner Analysen und Vorschläge!

Ich will mich heute auf das Kapitel "Cradle to Grave" oder "Von der Wiege bis zur Bahre" fokussieren. In diesem - zentralen! - Kapitel seines Buches geht es Friedman darum, den fast unaufhaltsamen Vormarsch des Wohlfahrtsstaates in allen Teilen der entwickelten Welt darzulegen, seine Ursachen und Risiken zu bestimmen. Als Antwort auf diese problematische Entwicklung schlägt Friedman am Ende des Kapitels sein Konzept der "negativen Einkommenssteuer" vor.

Die Wahl von Franklin Delano Roosevelt zum Präsidenten der USA im Jahr 1932 war einer der Wendepunkte hin zum modernen Sozialstaat. Die Öffentlichkeit machte damals die Marktwirtschaft und Kapitalismus für die schwere Wirtschaftsdepression verantwortlich und als Rezept wurden massiv höhere Staatsausgaben und sozialstaatliche Umverteilung eingeführt. Obwohl die Ursachen der Verschärfung der Krise vor allem im falschen Handeln der US-Zentralbank lagen, gelang es den Progressiven um Roosevelt ein anderes Narrativ durchzusetzen. Hatte bis in die 1930er Jahre der Anteil staatlicher Ausgaben am BIP nie 12% überschritten (ausser in Kriegszeiten), stieg dieser nun schnell auf 40% in den USA an. In Deutschland liegt er heute bei circa 43% des BIP. Der Anteil nur der Sozialausgaben am BIP liegt in den USA derzeit bei rund 19% und in Deutschland bei 25%, wie die aktuellen Zahlen der OECD zeigen. D.h., dass in Deutschland jeder vierte Euro, der erwirtschaftet wird, über den Staat umverteilt und als Sozialleistung wieder ausbezahlt wird.

Ein wesentlicher Grund für diesen durchschlagenden Erfolg der Sozialstaatsanhänger war das Bündnis zwischen Linken und Konservativen. Bismarck hat im Deutschen Reich mit der Einführung der Sozialversicherung vorexerziert, wie der Staat Arbeitnehmer absichert. Sein taktisches Kalkül war es, die Sozialdemokratie kaltzustellen und die Arbeiter an den preussisch-dominierten Staat zu binden. Nichtsdestotrotz wurden gerade die Sozialdemokraten die glühendsten Verfechter der immer weiteren Ausbreitung des Wohlfahrtsstaates: Sozialhilfe, staatliche Rente, Krankenversicherung, Subventionierung von Mieten und staatlicher Bau von Wohnungen etc. - all dies breitete sich rapide in Europa und Nordamerika aus. Obwohl immer wieder das Modell Europas und der USA als grundverschieden gesehen wird, sind beide Kontinente doch grundsätzlich vom paternalistischen Wohlfahrtsstaat dominiert. Zahlreiche staatliche Einrichtungen und so genannte Versicherungen verteilen einen grossen Teil der Wertschöpfung der Gesellschaft um. Friedman bemerkt dazu:
"Heute gibt es hunderte von wohlfahrtstaatlichen und Einkommenstransferprogrammen der Regierung. Das Ministerium für Gesundheit, Erziehung und Soziales, gegründet 1953, um die zersplitterten Sozialprogramme zu konsolidieren, begann mit einem jährlichen Budget von 2 Mrd. $, weniger als 5% der Verteidigungsausgaben. 25 Jahre später, 1978, liegt das Budget bei 180 Mrd.$. Dies sind 1,5 mal die Ausgaben von Marine, Armee und Luftwaffe zusammen." (Free to Choose, S.96)
Doch die Ergebnisse dieser Leistungsexplosion waren und sind enttäuschend. Wie Friedman schreibt. "Die Ziele waren edel, die Ergebnisse frustrierend." Ein Zustand, der sich bis heute nicht verbessert hat. Die wohlfahrtsstaatliche Bürokratie mit ihrer Armee an Organisationen und Mitarbeitern hat es nicht geschafft, den Menschen ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Im Gegenteil: Abhängigkeit von staatlichen Leistungen und Almosen führt zu einer Marginalisierung erheblicher Teile der Gesellschaft - in den USA, aber auch in Europa.

Doch warum funktioniert der Wohlfahrtsstaat so schlecht? Friedman erklärt dies anhand einer Matrix - den vier Kategorien des Geldausgebens. Wie kann man sein Geld ausgeben - es gibt logisch betrachtet nur vier Möglichkeiten:

1. Du kannst dein Geld für Dich ausgeben - die einfachste Variante: Du hast einen hohen Anreiz, das Geld effizient auszugeben, nicht zu verschwenden und darauf zu achten, dass Du den meisten Nutzen daraus ziehst.

2. Du kannst dein Geld für andere ausgeben - z.B. indem Du ein Geschenk kaufst: Auch hier hast Du einen hohen Anreiz, das Geld effizient auszugeben und nicht unnötig viel zu zahlen, aber beim Nutzen bis Du vielleicht nicht ganz so aufmerksam. Schliesslich kommt der Nutzen nicht Dir zugute.

3. Du kannst das Geld anderer für Dich ausgeben: Ein Beispiel ist das Spesenkonto Deiner Firma. Du hast nicht unbedingt einen hohen Anreiz, das Geld sparsam auszugeben, aber das was Du kaufst, soll Dir möglichst hohen Nutzen bringen. D.h., wenn Du 100 Euro Spesen ausgibst, willst Du nicht ein schmutziges heruntergekommenes Hotel, sondern möglichst ein sauberes, gut gelegenes.

4. Du kannst das Geld anderer für andere ausgeben: Hier hast Du weder eine grosse Motivation sparsam zu sein noch besonders auf den Nutzen der Ausgaben zu achten.

Was Friedman nun sagt ist: Alle Sozialausgaben fallen in Kategorie 3 oder 4. Ein Beispiel für Kategorie drei sind Sozialhilfezahlungen an Bedürftige und für Kategorie 4 etwa die Subventionierung von sozialem Wohnungsbau. Und genau hier liegt nach Friedman der Hase im Pfeffer: Die Anreizsysteme sind so, dass für die meisten Sozialausgaben wenig Motivation besteht, das Geld sparsam einzusetzen und nur teilweise ein Anreiz, den Nutzen möglichst hoch zu halten und somit ein gutes Ergebnis für den Empfänger der Leistung zu erzielen. Das System ist so angelegt, dass Verschwendung, Bürokratie und enttäuschende Resultate systemimmanent sind und nicht zufällig. Gleichzeitig hat die sozialstaatliche Bürokratie und die Politik aber einen hohen Anreiz, immer mehr Gelder, auf diese Art umzuverteilen. Die Jobs in der Bürokratie können so vermehrt werden und die Wählerstimmen der Sozialklientel sind den Politikern sicher. Friedman bemerkt:
"Freiwillige Spenden einmal beiseite gelassen, kann man anderer Leute Geld nur ausgeben, wenn man es ihnen wegnimmt, so wie es der Staat tut. Der Einsatz von Gewalt ist damit der Kern des Wohlfahrtsstaats - ein schlechtes Mittel, das den guten Zweck tendenziell korrumpiert. Dies ist auch der Grund, warum der Wohlfahrtsstaat unsere Freiheit ernsthaft bedroht."
Doch was tun? Friedman bemerkt, dass die meisten sozialstaatlichen Programme nie ins Leben gerufen hätten werden sollen. Die meisten Personen, die nun abhängig davon sind, wären selbstversorgende Individuen geworden. Friedman weiss jedoch, dass man den Sozialstaat nicht mehr abschaffen, sondern nur noch transformieren kann. Er schlägt deshalb die "negative Einkommenssteuer" als Alternative und Ersatz aller bestehenden Sozialprogramme vor. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Propaganda für das bedingungslose Grundeinkommen immer mehr Fahrt aufnimmt, bietet die negative Einkommenssteuer eine interessante Alternative.

Wie sieht das von Friedman vorgeschlagene Konzept aus?
"Die Grundidee der negativen Einkommenssteuer ist simpel … Unter der heutigen positiven Einkommenssteuer ist es erlaubt, einen bestimmten Anteil seines Einkommens steuerfrei zu beziehen. Diese Bemessungsgrenze beruht auf verschiedenen Faktoren, wie Familie, Alter und möglicher Abzüge…. Lasst uns um die Diskussion zu vereinfachen diese Einkommensgrenze mit dem Begriff des "persönlichen Freibetrags" bezeichnen.(…) Nehmen wir nun an, Dein Einkommen liegt unter dieser Grenze. Im jetzigen System zahlst Du einfach keine Steuern. (…) Mit einer negativen Einkommenssteuer würdest Du vom Staat einen Teil Deines "persönlichen Freibeitrages" erhalten. (…) Wenn Dein Einkommen unter dieser Grenze liegt, würdest Du einen Zuschuss erhalten, dessen Höhe davon abhängt, welcher Faktor für unterschiedliche Differenzen zwischen Einkommen und Freibetrag angewendet wird." (S. 121)

Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: Für eine vierköpfige Familie läge der Freibetrag bei 50'000 Euro und der Zuschussfaktor läge bei 50%. In diesem Falle würde die vierköpfige Familie, sollte sie gar kein anderes Einkommen erzielen, einen staatlichen Zuschuss von 25'000 Euro (also 50% der 50'000) bekommen - netto also etwas über 2'000 Euro pro Monat. Sollte dann im nächsten Jahr z.B. der Vater oder die Mutter ein Erwerbseinkommen von 20'000 Euro erzielen, wird dies auf den Freibetrag angerechnet. Dieser fällt dann auf 30'000 Euro und der Zuschuss damit auf 15'000 Euro. Das gesamte Familieneinkommen steigt aber auf 35'000 Euro. So besteht für diese Familie ein hoher Anreiz Erwerbseinkommen zu erzielen, da sie auf diese Weise nicht einfach staatliche Zuschüsse verlieren, sondern insgesamt ein besseres Einkommen erzielt wird!

Im Gegensatz zum bedingungslosen Grundeinkommen, was ja bezahlt wird, unabhängig davon ob man einen anderen Job hat oder nicht, setzt die negative Einkommenssteuer einen klaren Anreiz zur Arbeit. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist, wie Friedman schreibt, der folgende:

"Die negative Einkommenssteuer macht die Grossbürokratie überflüssig, die heute eine Vielzahl unterschiedlicher Sozialprogramme verwaltet. Die negative Einkommenssteuer passt direkt in unser heutiges Steuersystem und kann einfach darin integriert werden." (S.122)
Abschliessend noch einmal in den Worten von Friedman, wo er das grösste Problem unseres heutigen Wohlfahrtsstaates sieht:
"Die Verschwendung ist bedrückend, aber sie ist das geringste Übel, der paternalistischen Programme, die zu solch einer massiven Grösse angewachsen sind. Die schlimmste Folge ist ihr Effekt auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft: Sie schwächen die Familie; reduzieren den Anreiz zu arbeiten, zu sparen und für Innovationen; verringern den Aufbau des gesellschaftlichen Kapitalstocks und begrenzen unsere Freiheit. Dies ist der fundamentale Massstab an dem sie gemessen werden müssen."

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