Freitag, 16. August 2019

Erhards Erben mucken auf

In den letzten 10 Jahren Merkelscher Prägung ist etwas aus den Fugen geraten. Die so genannte Energiewende, Steuerinflation und ein Wust neuer Regulierungen - von Mindestlohn bis Datenschutz - haben das freiheitlich-soziale Wirtschaftsmodell ausser Kraft gesetzt: "Kollektivistische, bisweilen unverhohlen sozialistische Denkmuster ersetzen immer öfter die wertschöpfenden marktwirtschaftlichen Bestände", so diagnostiziert der Deutsche Arbeitgeberverband e.V. ohne Beschönigung in einem aktuellen Thesenpapier.

Mit "Erhards Erben - Thesen zur Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft" setzt der Arbeitgeberverband ein Ausrufezeichen. Fundmental kritisiert dieses kurze Thesenpapier Wirtschaftspolitik, Bildungs- und Forschungspolitik wie auch die "Energiewende" aus der Perspektive der Erhardschen Philosophie:
"Ein fatales Quintett lähmender Eigenschaften prägt den Zeitgeist und schwächt unsere Zukunftsfähigkeit: Konformismus, Leistungsfeindlichkeit, Unbildung, Anspruchsdenken und Panikmache."
Als Gegenentwurf zu dieser Diagnose zeigen die Thesen dass der Kern des Menschseins in der Eigenverantwortung liegt. Der Stolz darauf, die Dinge aus eigener Kraft zu meistern, lassen das Individuum erst wachsen und Würde entwickeln. Das Gegenteil davon ist die Betreuung und die Ausrichtung an den Interessen einer "Betreuer-Elite".

Davon ausgehend entwickeln die Thesen des Arbeitgeberverbandes eine fundamentale Kritik an der heutigen Bildungs-, Forschungs- und Energiepolitik.  Als Beispiel sei nur die Forschungspolitik genannt:
"'Vom Ende her denken', wie es der Zeitgeist fordert ('Wie gelingt die Energiewende?' 'Wie muss nachhaltige Wissenschaft organisiert sein?') ist unwissenschaftlich. Was bei Forschung herauskommt, lässt sich nicht vorhersagen, das Ergebnis ist offen uns meist unvorhersehbar."
In diesem Sinne wird auch die "Gender-Wissenschaft" als unwissenschaftlich kritisiert, da es sich lediglich um Ideologie handelt und an den Universitäten daher keinen Platz haben darf. Hier scheint der Hayeksche Gedanke durch, dass die Vermehrung und Entwicklung von Wissen(schaft) nur aus einem spontanen und unregulierten Prozess entstehen kann. Oder, wie Hayek sich ausdrückt: Wir müssen anerkennen, dass der Fortschritt und gar das Überleben unserer Zivilisation von der maximalen Möglichkeit abhängt, dass Zufälle und Unfälle passieren können. Das ist das pure Gegenteil der planwirtschaftlich gesteuerten  "Wissenschaft",  die vom "Ende gedacht" die Ergebnisse schon vorwegnimmt.

Die fundamentale Kritik an der aktuellen Politik ist notwendig. Entgegengestellt werden Entwürfe einer freiheitlichen, ergebnisoffenen Vorgehensweise in Bildung, Forschung oder bei der Energieversorgung. Doch das Thesenpapier vermeidet es, eine entscheidende Frage zu beantworten: Wie kommt der Wandel zustande? Wie kann gegen den versammelten Mainstream fast aller Parteien, der veröffentlichten und öffentlichen Medien sowie einer Bevölkerung, die in grossen Teilen vom betreuenden Staat profitiert (oder dies zumindest glaubt) eine Politikwende durchsetzen? Welche politische Strategie bringt den Wandel? Setzt man auf eine parlamentarische Strategie und hoff auf die Regierungsbeteiligung liberaler Kräfte? Oder muss man nicht fundamentaler ansetzen, eine "Grass-Roots-Bewegung" schaffen, die ähnlich der Grünen in den 1970er und 80er Jahren einen langfristigen Marsch durch die Institutionen anstrebt?

Die klaren Thesen des Arbeitgeberverbandes sind bitter nötig. Eine Strategiedebatte unter den Kräften, die sich heute noch als liberal - in welchem Zusammenhang auch immer - verorten, sollte sich daran dringend anschliessen.




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