Das Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit mutmasst derweil, dass ein Teil der Einwanderer Inländer verdrängte: «Wir gehen davon aus, dass in einigen Nicht-Mangelberufen Inländer zur Verfügung standen, die für den jeweiligen Beruf qualifiziert waren.»Die Diskussion zeigt vor allem, dass sowohl im Zürcher Amt für Arbeit und Wirtschaft als auch in der NZZ ein Missverständnis hinsichtlich der Lohnbildung besteht. Denn ein Arbeitnehmer verdient in einem marktwirtschaftlichen System in der Regel einen Lohn der dem Grenzertrag der Arbeit (in Output seiner Arbeit)entspricht. Vereinfacht gesagt: Ein Friseurladen wird einem Angestellten den Lohn bezahlen, den er tatsächlich erwirtschaftet (gemessen an der Zahl der Haarschnitte und deren Ertrag in Geld, abzüglich von Kosten wie Miete oder Werbung). Liegt der Lohn längere Zeit über diesem Ertrag wird der Arbeitgeber natürlich Arbeitsplätze abbauen (und zwar in der Regel die der am wenigsten produktiven Angestellten), liegt der Marktlohn jedoch unter diesem Grenzertrag wird der Arbeitgeber neue Friseure einstellen bis Lohn und Ertrag wieder ungefähr gleichauf liegen. Von der Seite der Arbeitnehmer aus betrachtet, werden diese sich eine besser bezahlte Friseurstelle suchen, wenn sie heute einen Lohn erhalten, der ihre Produktivität für den Betrieb nicht widerspiegelt.
Dieser Mechanismus sorgt also dafür, dass Arbeitnehmer mit hoher Produktivität (also in der Regel mit guter Ausbildung und viel Erfahrung, dem so genannten Humankapital) besser bezahlt werden als Arbeitnehmer mit schlechter Ausbildung und geringer Erfahrung. Kommen nun neue ausländische Arbeitnehmer in einen Arbeitsmarkt, kann es passieren, dass sie für einen geringeren Lohn eingestellt werden, was aber nur widerspiegelt dass sie eine geringere Produktivität haben. Arbeitnehmer mit gleicher oder höherer Produktivität verdienen (zumindest nach einer gewissen Eingewöhnungszeit, bis sie lernen wie der Markt in einem Land funtkioniert) gleich hohe Löhne wie die Einheimischen. Eine Ausnahme ergibt sich nur dann, wenn der Nachfrager nach Arbeitskraft ein Monopol der Nachfrage hätte ("Monopson") und damit die Lohnhöhe künstlich unter der Produktivtät der Arbeitnehmer halten könnte. Das ist in der Schweiz praktisch nirgendwo der Fall.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Arbeitnehmer mit geringer Produktivität (Ausbildung, Erfahrung, Sprachkenntnisse) auf neuen Arbeitsplätzen eingestellt werden - zu geringeren Löhnen. Ein Beispiel ist etwa das Reinigungsgewerbe: Hier spielen Ausbildung und Sprachfähigkeiten eine geringe Rolle. Werden hier keine künstlichen Lohnuntergrenzen eingeführt, dann schaffen Unternehmen faktisch neue Arbeitsplätze für ungelernte, niedrig produktive Arbeitskräfte (z.B. aus dem Ausland). Diese verdrängen aber dann nicht einheimische Arbeitskräfte sondern ergänzen sie. Es entsteht Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze werden geschaffen, da plötzlich Dienstleistungen angeboten werden können, die mit (produktiveren) gut verdienenden Einheimischen nicht profitabel angeboten werden konnten. Über Zeit werden diese Arbeitnehmer dann möglicherweise auch produktiver (erfahrener, eignen sich neue Qualifikationen an) und wandern in andere, besser bezahlte Jobs ab.
Lohndruck auf bestehende produktive Arbeitnehmer durch Einwanderung ist daher nicht oder nur in sehr geringem Umfang zu erwarten. Lohndruck entsteht jedoch dann, wenn die Produktivtät einer Volkswirtschaft nicht mehr wächst oder gar schrumpft. Denn dann können Arbeitnehmer nicht mehr profitabel beschäftigt werden. Es kommt zu Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau. Einschränkungen bei der Einwanderung helfen da jedoch nicht.